Der EU-Gasrichtlinieentwurf, das Ende der Erdgasversorgung bis 2045 und Stranded Investments - eine Annäherung
Das Erdgasnetz zur Durchleitung von fossilem Erdgas bis 2045 betreiben, einzelne Leitungen zur Umnutzung zum Wasserstofftransport an einen Wasserstoffnetzbetreiber verkaufen oder den Betrieb von umgenutzten Erdgasleitungen zum Wasserstofftransport an einen Independent Hydrogen System Operator auslagern? Oder doch zukünftig CO2 transportieren? Dies sind die zentralen Optionen für Gasnetzbetreiber laut dem aktuellen Entwurf der EU-Gasrichtlinie, der Ende 2021 veröffentlicht wurde.
Während Wasserstoff (neben CO2) als neues Geschäftsmodell für Erdgasnetzbetreiber eine Option bietet auch nach 2045 noch eine Versorgungsaufgabe in einem klimaneutralen Energiesystem zu übernehmen, muss schon heute die Entscheidung getroffen werden, welche Funktion man nach 2030 in dem Transformationsprozess der Energieversorgung übernehmen möchte. Festgelegt werden laut dem Entwurf zunächst drei zentrale Rahmenbedinungen:
Der Betrieb von Wasserstoffleitungen muss rechtlich vom Erdgasnetzbetrieb entflochten werden, und das auch schon vor 2030 (ab Umsetzung der Richtlinie).
Ab 2030 müssen Wasserstoffnetzbetreiber entweder eigenständige Unternehmen sein, die keine wirtschaftlichen Interessen mit den Erdgasnetzbetreibern teilen (Ownership Unbundling) oder der Betrieb der für Wasserstoff umgenutzen Erdgasnetze muss an einen Independent Hydrogen System Operator (IHSO) übergeben werden, während die Anlagen im Besitz des Erdgasnetzbetreibers verbleiben dürfen (Asset Ownership).
Die Durchleitung von fossilem Erdgas endet spätestens 2045.
Wird dieser Entwurf so umgesetzt bedeutet dies zum einen, dass eine Quersubventionierung über gemeinsame Netzentgelte von Erdgas- und Wasserstoffkunden schon recht kurzfristig nicht umsetzbar sein wird. Dies bedeutet zwar nicht zwangsläufig, dass eine Quersubventionierung, sollte diese volkswirtschaftlich sinnvoll sein, nicht auch über andere Mechanismen (wie zum Beispiel netzübergreifende Anschlussgebühren) umgesetzt werden könnte, eine direkte Quersubventionierung über gemeinsame Netzentgelte für Erdas- und Wasserstoffkunden wäre aber vom Tisch. Wie andere Mechanismen zur volkswirtschaftlich sinnvollen Quersubventionierung aussehen könnten, werden wir in einem späteren Beitrag kurz beschreiben.
Zum anderen muss zeitnah die Entscheidung getroffen werden, ob man die Erdgasleitungen, die für eine Umnutzung zum Wasserstofftransport qualifizieren, an einen eigenständigen Wasserstoffnetzbetreiber verkaufen möchte, oder ob man das reine Asset Ownership der Wasserstoffleitungen vorzieht, und einen IHSO mit dem Betrieb der Wasserstoffleitungen beauftragt. Zentral für diesen Entscheidungsprozess ist die Frage, wie die Zielvorgabe 2045 kein fossiles Gas mehr zu tranportieren, regulatorisch umgesetzt wird, was das für den wirtschaftlichen Betrieb der Erdgasleitung bis 2045 bedeutet und welche Dynamiken bei den Kunden durch diese Maßnahmen entstehen könnten. Fünf Punkte sind hier aus unserer Sicht insbesonders relevant und sollten zeitnah geklärt werden:
Umgang mit Restwerten von Gasleitungen, die bis 2045 noch nicht abgeschrieben sein werden (stranded-investement risk)
Für eine Vielzahl an Anlagen, die schon heute im Netz genutzt werden, gilt, dass diese ihre Kosten (insbesondere Kapitalkosten) nicht bis Ende 2044 komplett refinanzieren können, da die eigentliche Lebensdauer der Anlagen und damit der kalkulatorische Abschreibungszeitraum über 2045 hinaus geht. Hier bestehen verschiedene Lösungswege. Zum einen können Sonderabschreibungen genutzt werden, um die Kostendeckung der bereits getätigten Investitionen sicherzustellen. Dabei verbleibt aber zumindest das Problem der letzten Abschreibung: Wer trägt die letzten Kosten, wenn es keine Kunden mehr gibt, die beliefert werden dürfen? Alternativ könnte die Abschreibungsdauer auf maximal 22 Jahre (bis Ende 2044) verkürzt werden. Dies könnte auf Teile oder sogar das gesamte Gasverteilnetz zutreffen. Wie die Abschätzung von BBH zeigt, könnten sich die Restbuchwerte der Anlagen im Gasverteilnetz auf bis zu 12 Milliarden Euro Ende 2044 belaufen.
Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass sich durch die Verkürzung der Abschreibungsdauer oder durch Sonderabschreibungen auch eine Erhöhung der Netzentgelte ergibt, so dass es zu einer Beschleunigung der Abnahme des Gasverbrauchs kommen kann, was wiederum dazu führen könnte, dass die betroffene Gasleitung evtl. auch schon früher als 2044 außer Betrieb genommen wird. Neben der Verkürzung der Abschreibungsdauer gibt es weitere Ansätze zum Umgang mit den Restwerten der Gasleitungen, so wird etwa in Australien auch über Austiegsgebühren für Gaskunden, ex-ante Zahlungen zur Reduzierung des Risikos von stranded investements, cost-sharing Mechanismen und andere teilweise weitreichende Maßnahmen wie die Anpassung der Regulated Asset Base (RAB) (wie dies schon teilweise in den Niederlanden umgesetzt wurde) diskutiert. Die Anpassung der Abschreibungsdauer hat gegenüber anderen Ansätzen vor dem Hintergrund der noch hohen Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung der Gasnachfrage den Vorteil, dass sie recht flexibel eingesetzt werden kann. Neuseeland bietet beispielsweise solch einen Mechanismus im Strombereich, der aber zunächst auf eine Reduktion der Abschreibungsdauer um 15% limitiert ist. Auch in Großbritannien findet eine ähnliche Regelung Anwendung.
2. Umgang mit Unsicherheiten bezüglich der späteren Umnutzung zum H2 oder CO2-Transport
Die Lebensdauer der Erdgasleitung wird nicht nur durch ein Ende der Erdgasversorgung bis 2045 bestimmt, sondern auch durch mögliche weitere Nutzungen der Leitungen zum Transport anderer Medien, wie eben Wasserstoff oder auch CO2. Die Option, einzelne Leitungen umzunutzen, hat dabei sowohl einen Effekt auf das potenzielle Abschreibungsmodel (siehe Thema 1) als auch die Bildung von Rücklagen zum Rückbau der Erdgasleitungen (siehe Thema 3). Wie diese Unsicherheit in die Regulierung der Erdgasnetze einbezogen werden kann um zum einen eine faire Verteilung der Kosten zwischen den heutigen und den zukünftigen Nutzern, als auch eine effiziente Abwägung zwischen den verschiedenen Nutzungsoptionen (Erdgas & Rückbau, Wasserstoff- oder CO2-Transport) zu gewährleisten, ist heute noch nicht geklärt, ist aber eine zentrale Fragestellung, die zeitnah adressiert werden sollte.
3. Bildung von Rückstellungen für einen möglichen Stilllegung der nicht mehr genutzten Erdgasleitungen
Bisher war es regulatorisch nicht vorgesehen, dass Erdgasnetze zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr genutzt werden, sondern vielmehr immer weiter ertüchtigt werden. Daher haben die Netzbetreiber bisher kaum Rückstellungen gebildet, um eine mögliche Stilllegung/ einen Rückbau zu finanzieren. Wie aber die Daten aus dem letzten Fotojahr belegen ändert sich diese Praxis bereits punktuell und einige Netzbetreiber bilden solche Rückstellungen die dann auch regulatorisch anerkannt und in die Erlösobergrenze einfließen. Dementsprechend erhöhen diese Rückstellungen zukünftig ebenfalls das entsprechende Netzentgelt. Insgesamt gehen erste Schätzungen davon aus, dass für die Stilllegung der Erdgasverteilnetze Kosten in Höhe von 160 Mio bis 1 Millarde Euro p.a. (vgl. BMWK Langfristszenarien) entstehen könnten. Die notwendigen jährlichen Rückstellungen würden damit (im Fall der oberen Kostenabschätzung von 1 Milliarde p.a.) auf dem Niveau der jährlichen Abschreibungssumme in 2020 aller Erdgasverteilnetze (vgl Abbildung 1) liegen, mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Netzentgelte und die Gasnachfrage.
4. Umgang mit Reinvestitionen
Unter den gegebenen Bedinungen eines Austiegs aus dem Transport von fossilem Gas werden Reinvestitionen zu einem potenziell sehr risikoreichen Unterfangen – je nachdem ob eine Umnutzung für andere Gase möglich und wirtschaftlich ist. Eine verkürzte Abschreibungsdauer erscheint hier nicht sachgemäß, da die Investitionen ja unter dem gegebenen Rahmenbedinungen getätigt werden und das Ziel bis 2045 aus dem Erdgastransport auszusteigen bereits formuliert ist. Erste Vorschläge gehen in die Richtung, dass die Verzinsung der Neuinvestitionen dieses Risiko reflektieren sollten (vgl BBH). Aber auch hier besteht noch kein klar formulierter Ansatz.
5. Netzanschlussbedingungen
Ein Anschlusszwang, wie er aktuell faktisch bis auf wenige Ausnahmen bei Erdgaskunden besteht, erscheint unter den neuen Rahmenbedinungen auch nicht mehr angemessen. Daher gilt es hier zu prüfen, wie der Anschließungszwang an die neuen Rahmenbedindungen angepasst werden kann.
Ohne eine belastbare Einschätzung zu den genannten Punkten erscheint es aus heutiger Sicht schwierig, die strategische Entscheidung zur Anpassung an die Vorgaben der EU-Gasrichtlinie, sollte diese wie in dem Entwurf vorgesehen umgesetzt werden, zu treffen. Insbesondere gilt es auch den Zusammenhang zwischen den potenziellen Anpassungen der Kostenanerkennung durch die Verkürzung der kalkulatorischen Restlebensdauer der Gasleitungen, den daraus resultierenden Netzentgeltsteigerungen und die so entstehenden Anreize für die Netznutzer, noch vor 2045 aus der Erdgasnutzung auszusteigen, da es günstigere Alternativen im Markt gibt, zu untersuchen.
Wir unterstützen Sie gerne in diesem Prozess und arbeiten mögliche Lösungswege mit Ihnen aus. Nehmen Sie Kontakt mit uns auf!