Ein Marktdesign zur Erreichung der Klimaneutralität: Die sechs zentralen Handlungsfelder
Das Energiemarktdesign muss weiterentwickelt werden, um den Anforderungen der Klimaneutralität bis spätestens 2045 gerecht werden zu können. Aber wo genau sollte man hier ansetzen?
Im Rahmen der dena Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ haben wir im Rahmen unserer Tätigkeit an der Jacobs University mit VertreterInnen der klassischen Energiewirtschaft, neuen Marktakteuren, Netzbetreibern, Industrieunternehmen, verschiedenen Verbänden und Investoren diskutiert, wo Handlungsbedarf im Marktdesign des Energiesektors besteht, um die entsprechenden Anreize für den Umbau hin zu Klimaneutralität zu setzen. In diesem Beitrag fassen wir kurz zusammen, welche Handlungsbedarfe wir vor dem Hintergrund der Diskussionen in der dena Leitstudie sehen. Wir werden dann in einigen folgenden Beiträgen vertiefend auf einige dieser Themen eingehen. Hier und jetzt fokussieren wir uns aber erstmal auf einen Überblick.
Zunächst stellt sich erstmal die Frage, welche Bereiche des Energiesektors denn von dem Begriff „Marktdesign“ erfasst werden. Da dazu keine allgemeingültige (und insbesondere keine einfache) Definition vorliegt nutzen wir hier ein vereinfachendes Verständnis:
Das Energiemarktdesign erfasst all die Bereiche, in denen ein Koordinationsbedarf zwischen verschiedenen Akteuren im Energiesektor besteht. Dieser Koordinationsbedarf wird zumeist über Preise adressiert, etwa um Investitionen bzw. das daraus folgende Nutzungsverhalten zu steuern. Dies umfasst also die Energiemärkte sowie Märkte für Systemdienstleistungen, aber auch die Finanzierungsmechanismen von Netzinfrastrukturen, selbst wenn diese zumeist nicht marktbasiert aufgebaut werden. An der Schnittstelle zwischen verschiedenen Märkten werden die etablierten Bepreisungsmechanismen häufig um planerische Elemente ergänzt, da es hier an entsprechenden Preissignalen mangelt bzw. entsprechende langfristige Preissignale nicht vorhanden sind. Dies ist insbesondere bei der Infrastrukturplanung der Fall. Daher umfasst das hier diskutierte Energiemarktdesign sowohl die klassischen wettbewerblichen Elemente des Energiesektors, als auch die regulierten Infrastrukturen.
Wo besteht also Handlungsbedarf im Energiemarktdesign, um zeitnah Anreize für die Veränderung des Energiesektors hin zu Klimaneutralität zu setzen? Im Folgenden skizzieren wir die aus unserer Sicht zentralen Handlungsfelder und greifen diese in kommenden Blogbeiträgen auf, um genauer auf die möglichen Lösungsoptionen zu schauen.
Absicherung von Investitionsrisiken aus regulatorischer Unsicherheit
Koordination der Investitionsanreize für Infrastrukturbetreiber
Koordination der Planungen von neuer Wasserstoffinfrastruktur mit den regulierten Strom und Gasnetzen
Investitionsanreize für Erzeugungskapazitäten, insbesondere Erneuerbare
Steuerung der räumlichen Verteilung von Erzeugern und Verbrauchern
Einbindung von Flexibilität zur Reduktion des Stromnetzausbaus
1. Absicherung von Investitionsrisiken aus regulatorischer Unsicherheit
Der CO2-Preis (aus dem EU ETS oder BEHG) dient als zentrales Lenkungsinstrument in klimafreundliche Investitionen. Dazu bedarf es zunächst einer Anpassung der Rahmenbedingungen an die neuen (und zukünftig potenziell weiter zu verschärfenden) Klimaziele der EU. Diese Anpassungen sollten sich nicht nur auf die CAP (bzw. den linearen Anpassungsfaktor) sondern auch auf die Marktstabilitätsreserve beziehen, um eine entsprechende Lenkungswirkung des CO2-Preises sicherzustellen. Darüber hinaus kann der CO2-Preis nur dann die Investitionen effizient und effektiv in Richtung Klimaneutralität lenken, wenn sowohl der geographische als auch sektorale Anwendungsbereich möglichst breit sind. Sicherlich gibt es für diese theoretischen Anforderungen diverse praktische Einschränkungen, die nicht zuletzt dazu führen, dass die aktuelle Debatte auf EU-Ebene eine Trennung der CO2-Bepreisung zwischen Energie und Industrie auf der einen Seite, und Wärmeversorgung und Verkehr auf der anderen Seite vorsieht.
Neben der Anpassung der CO2-Bepreisung selbst gilt es auch noch etwaige Verzerrungen des Investitionssignals, die sich durch andere Preisbestandteile der Energiepreise, und hier insbesondere durch die staatlich induzierten Preisbestandteile (SIP) wie Umlagen und Steuern, abzuschaffen. Hier setzt die Diskussion rund um die Abschaffung der EEG-Umlage (oder anderen Umlagen) und die Anpassung der Energiebesteuerung an.
Aber selbst nach einer entsprechenden Anpassung der CO2-Bepreisung und einer Abschaffung gegenläufiger Anreize durch SIPs bestehen weiterhin Risiken für die Investoren im Kontext des CO2-Preises. Kritisch ist hier insbesondere das regulatorische Risiko zur zukünftigen Ausgestaltung der Rahmenbedingungen der CO2-Bepreisung über die aktuelle Handelsperiode hinaus. Dieses Risiko kann aktuell nicht am Markt abgesichert werden (keine Hedging-Produkte verfügbar), so dass die Finanzierung von langfristigen Investitionen (etwa in langlebige Produktionskapazitäten in der Industrie) kostenintensiver wird. Gemeinsam mit den noch hohen Technologiekosten im Vergleich zu den fossilen Technologien wird so durch das regulatorische Risiko die Markteinführung der klimaneutralen Technologien verzögert. Hier setzt die aktuelle Diskussion um Carbon-Contracts-for-Difference an, die wir in einem späteren Post hier noch weiter vertiefen werden.
2. Koordination der Investitionsanreize für Infrastrukturbetreiber
In einem klimaneutralen Energiesystem kommen verschiedene Energieträger zum Einsatz, d.h. Strom, Gas, Wasserstoff, etc. Ein Großteil der Energieträger ist oder wird über Netze transportiert bzw. übertragen. Um die Gesamtkosten möglichst gering zu halten, sollten die verschiedenen Infrastrukturen gut aufeinander abgestimmt sein. Vor allem für Investitionen in neue Infrastrukturprojekte in den verschiedenen Energiesektoren ist diese Abstimmung wichtig. Dies zeigt sich auch in der aktuellen Debatte rund um den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur. Dieses Thema greifen wir weiter unten wieder auf.
Dafür muss das Marktdesign wiederum so gestaltet sein, dass die Koordination mit anderen Infrastrukturen (z.B. zwischen Strom- und Gasnetzbetreibern) keine Nachteile für den einzelnen Akteur bringt, sondern im besten Fall vorteilhaft ist. Im Fall von regulierten Marktakteuren, d.h. Netzbetreibern, betrifft dies die Ausgestaltung der Regulierung, um Anreize für die Abstimmung der Infrastruktur – insbesondere im Fall von Sektorkopplung – zu setzen.
Die zentrale Herausforderung in diesem Kontext ist die Fragmentierung des Energiesystems, die aus verschiedenen Entwicklungen resultiert. Zum einen stieg die Anzahl der Marktakteure (einschließlich Netzbetreiber) mit der Liberalisierung und der damit einhergehenden Entflechtung deutlich an. Zum anderen traten und treten durch die Energiewende bzw. die Dezentralisierung der Energieerzeugung zusätzliche Akteure in die Energieversorgung ein. Durch die nun verstärkt auftretende Sektorkopplung, die unterschiedliche Energiesektoren zusammenbringt, wird die Fragmentierung innerhalb und zwischen den Sektoren deutlich erkennbar.
Für ein effizient gekoppeltes Energiesystem muss der regulative Rahmen so gestaltet werden, dass die Abstimmung mit den anderen Infrastrukturbetreibern im Eigeninteresse der Netzbetreiber liegt. Die derzeitige Regulierung löst das Fragmentierungsproblem nicht. Im Gegenteil liegt auch hier der Fokus bislang darauf, dass die jeweiligen Betreiber ihre Netze individuell optimal ausbauen und betreiben. Die Anreize und Möglichkeiten für eine sektor- und netzübergreifende Optimierung sind jedoch sehr beschränkt. Ein Lösungsansatz hierfür ist der sogenannte „whole system approach“, der eine Optimierung des Gesamtsystems zum Ziel hat. Eine neue Entwicklung in der Netzregulierung, die output-orientierte Regulierung (OOR), setzt hier an und könnte das Ziel eines whole system approach aufgreifen. Das Konzept von OOR haben unsere KollegInnen bereits in einem Bericht ausführlicher skizziert und das Model wird uns auch hier im Blog zukünftig noch beschäftigen.
3. Koordination der Planungen von neuer Wasserstoffinfrastruktur mit den regulierten Strom- und Gasnetzen
Grüner Wasserstoff und die Kopplung der verschiedenen Energiesektoren gewinnt mit dem Ziel der Klimaneutralität an Bedeutung. Für den Transport von Wasserstoff von A nach B wird die entsprechende Infrastruktur benötigt – diese kann leitungsgebunden (z.B. durch Umnutzung über bestehenden Erdgasleitungen oder neue Leitungen) oder nicht-leitungsgebunden (z.B. mittels LKW) sein. Damit keine ineffizienten Doppelungen entstehen, muss der Auf- und Ausbau der H2-Transportinfrastrukturen in verschiedenen Sektoren durch geeignete Verfahren geplant und koordiniert werden. Dabei gibt es aktuell zwei Probleme: die etablierten Planungsmechanismen fokussieren erstens auf einzelne Sektoren und zweitens auf regulierte Akteure.
Bestehende Planungsmechanismen für die Infrastruktur des Energietransports, z.B. Netzentwicklungspläne, sind sektorspezifisch, d.h. sie zielen auf die Abstimmung innerhalb eines Sektors ab. Gleichzeitig mangelt es an einer sektorübergreifende Planung und Umsetzung der Energieinfrastruktur. Zudem sind die bestehenden Planungsmechanismen auf die regulierten Netzbetreiber der jeweiligen Sektoren zugeschnitten und andere, wettbewerbliche Akteure können nicht daran teilnehmen. Diese zwei Ausprägungen können z.B. zu einer Doppelung der Infrastrukturkapazität, negativen Wechselwirkungen zwischen den Infrastrukturen und anderen Ineffizienzen führen.
Insbesondere für den Transport von Wasserstoff, für den verschiedene – bestehende und neue, regulierte und nicht-regulierte – Infrastrukturen in Frage kommen, sollte dies durch eine sektorübergreifende Koordination vermieden werden, die für verschiedenste Akteure geöffnet ist. Der nächste Beitrag hier in unserem Blog wird dieses Problemfeld noch einmal genauer betrachten und die zentralen Fragestellungen im Marktdesign in Bezug auf Wasserstoff und dessen Verteilung spezifizieren.
4. Investitionsanreize für benötigte Erzeugungskapazität
Die erneuerbaren Energien müssen massiv ausgebaut werden, um die Umstellung auf ein klimaneutrales Energiesystem sicherstellen zu können. Gleichzeitig besteht ein Bedarf regelbare Kapazitäten vorzuhalten, die zur Absicherung der Versorgungssicherheit dienen und mit einem steigenden Anteil der Erneuerbaren zwar immer seltener genutzt werden, dafür aber an Systemrelevanz gewinnen. Für beide, die erneuerbaren als auch die regelbaren Kraftwerke (zur Absicherung des Systems) bestehen zwei Hautprobleme, die unter „missing money“ und „missing markets“ diskutiert werden.
Missing money beschreibt die Herausforderung, dass in einem energy-only Markt grundsätzlich die Kapital- und weitere Fixkosten der Kraftwerke in Zeiten erwirtschaftet werden, in denen der Preis am Markt über den Grenzkosten des Kraftwerks liegt. Je seltener ein Kraftwerk zum Einsatz kommt, desto höher müssen also die Preise am Markt sein, um die Kosten zu decken. Insbesondere bei Kraftwerken, die zur Absicherung der Versorgungssicherheit genutzt werden, kann es zukünftig dazu kommen, dass diese ihre Kosten in sehr wenigen Stunden im Jahr decken müssen. Theoretisch sollte dies möglich sein, wenn es zu entsprechend hohen Preisen in diesen Stunden am Markt kommt. Aus diesen hohen Preisen sollte sich dann auch ein entsprechender Investitionsanreiz in Kraftwerkskapazitäten zur Bereitstellung der Versorgungssicherheit ergeben. In der Praxis stellen sich aber hier verschiedene Fragen: Wann wird auf Grund von Marktsignalen in Kapazitäten zur Wahrung der Versorgungssicherheit investiert? Werden hohe Preisspitzen politisch akzeptiert? Etc. Wie die Antwort auf diese und andere Fragen ausfällt ist entscheidend dafür, ob es zu einem „missing money“ Problem kommt oder nicht.
Missing markets beschreibt hingegen das Problem, wenn Märkte bzw. Produkte fehlen, z.B. Terminprodukte, um unsichere Markterlöse abzusichern. Dieses Problem verschärft sich mit steigendem Anteil an erneuerbaren Energien, denn die Erneuerbaren führen dazu, dass die durchschnittlichen Preise am energy-only Markt sinken, gleichzeitig die Volatilität zunimmt, dadurch die Prognostizierbarkeit der zukünftigen Erzeugung als auch der Preise abnimmt. Darüber hinaus beschreibt das Konzept fehlender Märkte auch die nicht angemessene Bepreisung von Erzeugungsexternalitäten, wie CO2-Ausstoß, und fehlende Absicherungen gegen regulatorische Risiken, wie zukünftige regulatorische Eingriffe in das Marktgeschehen.
Während die oben genannten Hemmnisse auf regelbare und erneuerbare Erzeugungsanlagen gleichermaßen zutreffen, hemmen sie Investitionen in erneuerbare Erzeuger zum Teil stärker als Investitionen in konventionelle Kapazitäten und werden durch weitere Herausforderungen ergänzt, da sich diese Technologien durch Dargebotsabhängigkeit und eine hohe Kapitalintensität auszeichnen. Die letzteren beiden Faktoren können insbesondere zu Output- und Ausgleichsrisiken und Liquiditätsproblemen für erneuerbare Erzeuger führen. Hinzu kommen regulatorische Unsicherheiten, etwa über zukünftige Einnahmen aus Fördermechanismen oder die Entwicklung der CO2-Bepreisung. Zusammengenommen führen diese Faktoren zu hohen Finanzierungskosten bei erneuerbaren Erzeugern. Darüber hinaus besteht bei den Erneuerbaren noch die Besonderheit, dass durch Lerneffekte die spezifischen Kosten neuer Anlagen mit der installierten Leistung korreliert: Je höher die installierte Leistung, desto geringer die spezifischen Kosten neuer Anlagen. Hier tritt dann ein klassisches Problem mit Externalitäten auf: Werden diese nicht durch das Marktdesign entsprechend adressiert, wird insgesamt ineffizient wenig in erneuerbare Energien investiert. In einem späteren Beitrag hier in unserem Blog werden wir die verschiedenen Konzepte, die aktuell zur Förderung von erneuerbaren Energien diskutiert werden (power purchase agreements (PPA), contracts for differences (CfD), Marktprämien oder kapazitätsbezogene Förderungen, etc.), noch detaillierter vorstellen.
5. Steuerung der räumlichen Verteilung von Erzeugern und Verbrauchern
Für ein klimaneutralen Energiesystem bedarf es nicht nur mehr erneuerbare Erzeugungsanlagen als heute, sondern aufgrund von Sektorkopplung auch mehr Verbrauchsanlagen (z.B. Elektrolyseure, Speicher, etc.). Je nachdem, wo diese Erzeugungs- oder Verbrauchsanlage steht, hat sie mehr oder weniger Auswirkungen auf den Ausbaubedarf der Energieinfrastruktur. Da Stromnetzkapazität knapp und teuer ist, hat eine Erzeugungsanlage gesamtwirtschaftlich betrachtet einen höheren Wert in Regionen mit einem Nachfrageüberschuss (z.B. Süddeutschland) als in Regionen, die ohnehin schon mehr erzeugen als verbrauchen (z.B. Norddeutschland). Damit Investoren dies in ihrer Standortentscheidung berücksichtigen, müssen ihnen räumliche Wertunterschiede aufgrund von Netzknappheit durch entsprechende räumlich differenzierte Preise signalisiert werden, z.B. durch Großhandelspreise, dezentrales Engpassmanagement oder Netzentgelte. Im aktuellen Marktdesign wird dies durch folgende Ausprägungen behindert: ein deutschlandweit uniformer Großhandelspreis, Lösung von Engpässen durch kostenbasierten Redispatch sowie eine kaum differenzierte Netzbepreisung.
Der Großhandelspreis, der generell die Knappheit von Kapazitäten signalisiert, entsteht ohne Berücksichtigung von Netzengpässen und fällt daher zwangsläufig für Deutschland einheitlich aus. Dadurch gehen auch keine räumlich unterschiedlichen Investitionssignale von ihm aus. Eine Ablösung des Einheitspreissystems durch z.B. die Einführung von Gebotszonen ist in Deutschland bislang politisch unerwünscht. Sie könnte einzig durch die EU forciert werden (EU-Strommarktverordnung 2019/943), wenn die bestehenden strukturellen Netzengpässe bis Ende 2025 nicht hinreichend behoben werden.
Zum Auflösen der durch das Marktergebnis entstandenen Netzengpässe wird ein kostenbasiertes Redispatch eingesetzt. Dabei werden die benötigten zu- oder abgeschalteten Erzeugungskapazitäten finanziell so gestellt, als hätten sie nicht daran teilgenommen. Dies führt zwar dazu, dass das Marktergebnis vom Redispatch unbeeinflusst bleibt, aber keine räumlichen Investitionssignale entstehen. Diese Problematik wird auch an der Notwendigkeit der Netzreserve deutlich: In diese werden Kraftwerke (zumeist in Süddeutschland) überführt, die am einheitlichen Markt nicht rentabel, gleichzeitig jedoch notwendig sind, um regionale Erzeugungsungleichgewichte in letzter Instanz beheben zu können. Das Redispatch-System wurde kürzlich um kleinere und erneuerbare Erzeugungseinheiten erweitert, bleibt vom Prinzip jedoch unverändert und damit ohne räumliche Steuerungswirkung. Die kürzlich verabschiedete EnWG-Novelle schafft zumindest die Grundlage für eine Abweichung: So soll es Verteilnetzbetreibern zukünftig ermöglicht werden, marktbasiert Flexibilitätsdienstleistungen zu beschaffen.
Eine weitere Option räumlich differenzierte Bepreisung einzuführen ist über die Netzentgelte. Diese Steuerungsmöglichkeit wird in Deutschland für Erzeuger dadurch eingeschränkt, dass diese nur einen geringen Anteil der Netzkosten tragen. Konkret müssen sie für einen Teil der Kosten aufkommen, die für den Anschluss an das Bestandsnetz und ggf. den Ausbau des vorgelagerten Netzes anfallen. Diese können zwar je nach Versorgungsbereich deutschlandweit unterschiedlich ausfallen, was in die Richtung einer räumlich differenzierten Bepreisung geht; die Regelung wird jedoch nicht grundsätzlich angewandt.
6. Einbindung von Flexibilitäten
Ein klimaneutrales Energiesystem basiert auf erneuerbaren Energien, die vom Dargebot (Wind, Sonne) abhängig sind und naturgemäß fluktuieren. Für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage, z.B. um auf kurzfristige Dargebotsänderungen zu reagieren, und die Bereitstellung von Systemdienstleistungen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit werden zusätzlich eine große Anzahl flexibler Anlagen in einem solchen System benötigt. Damit sich Erzeuger und auch Verbraucher flexibel und systemdienlich verhalten, muss dieses Verhalten belohnt werden. Dies wird aktuell durch erschwert, dass sowohl die Einbindung von Verbraucher in die Flexibilitätsbereitstellung als auch zentrale Herausforderung der marktbasierten Beschaffung von Flexibilität nicht gelöst sind.
Wenngleich flexible Lasten zukünftig eine wichtige Rolle spielen werden, beschränkt sich auch das reformierte Redispatch-Verfahren auf den Einsatz von Erzeugungsanlagen zur Behebung von Netzengpässen. Zudem wurde die Spezifikation des netzdienlichen Lastmanagements in der diesjährigen EnWG-Novelle vertagt. Gleichzeitig bietet die EnWG-Novelle zwei Ansatzpunkte das Flexibilitätspotenzial von Verbrauchern zukünftig zu erschließen: die Grundlage für dynamische Stromtarife sowie für marktbasierte Beschaffung von Flexibilitätsdienstleistungen im Verteilnetzt.
Bevor eine marktbasierte Beschaffung von Flexibilität in Verteilnetzen umgesetzt werden kann, müssen allerdings noch einige Herausforderungen bewältigt werden. So schränken etwa die Kosten der Organisation die regionale Auflösung eines solchen Marktes ein. Gleiches gilt für das Risiko von Marktmachtmissbrauch, wenn der Markt zu klein ausfällt (diese und weitere Herausforderungen haben wir mit unseren Kollegen im Rahmen eines Thesenpapiers zusammengefasst). Eine weitere Herausforderung beim Marktdesign von regionalen Flexibilitätsmärkten ist es, mögliche Verzerrungen der Investitionsanreize und strategisches Verhalten (z.B. Inc-Dec Gaming) zu vermeiden. Diese Thematik haben wir für die Lastseite in einem Gutachten für die dena genauer betrachtet.
Auch die von der EU geforderte marktbasierte Beschaffung von nicht-frequenzbezogenen Dienstleistungen auf Übertragungsnetzebene steht vor ähnlichen Herausforderungen, so dass vier von sechs Dienstleistungen zunächst von der marktbasierten Beschaffung ausgenommen wurden.
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