Wasserstoffinfrastruktur - Regulierung an den technischen Entwicklungsstand anpassen
In diesem Beitrag greifen wir den Entwurf der EU-Kommission zum Hydrogen and Gas Market Decarbonisation Package auf und fokussieren uns auf die Frage: ab wann und wie intensiv muss in Deutschland diese Infrastruktur reguliert werden. Der Leitgedanke dabei ist der der institutionellen coevolution: Um Ineffizienzen beim Aufbau und Betrieb der Wasserstofftransportinfrastruktur zu vermeiden, muss der Regelrahmen dem technischen Entwicklungsstand der Infrastruktur entsprechen.
Es ist bereits ein Jahr her, dass mein EERA-Kollege Marius und ich uns hier zuletzt mit den Herausforderungen des grünen Wasserstoffs aus der institutionellen Sicht auseinandergesetzt haben. Dabei haben wir vor allem die Auswirkung der Unsicherheit bei der zukünftigen Entwicklung des grünen Wasserstoffsektors auf die Wasserstofftransportinfrastruktur und damit auf den begleitenden institutionellen Regelrahmen aufgezeigt.
Seitdem ist die Unsicherheit zwar noch nicht signifikant reduziert worden, was sich aber geändert hat ist, dass sich zum einen ein besseres Verständnis dieser Unsicherheit herausgebildet hat, und auch Konzepte entwickelt wurden, wie wir mit dieser Unsicherheit institutionell umgehen könnten. Wir sprechen in diesem Kontext über die sogenannte ‚Institutionelle Coevolution‘. Die Grundidee hinter diesem Konzept ist denkbar einfach wie oben schon kurz angeführt: Um Ineffizienzen beim Aufbau und Betrieb der Wasserstofftransportinfrastruktur zu vermeiden, muss der Regelrahmen dem technischen Entwicklungsstand der Infrastruktur entsprechen. Eine technische Änderung der Infrastruktur bedingt eine Anpassung des Regelrahmens, so dass eine ‚Koevolution‘ zwischen der Technologie und Institutionen stattfindet.
Im Folgenden fassen wir kurz zusammen, welche Schlussfolgerung sich aus der institutionellen Koevolution für den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur und die Regulierung dieser ergeben. Konkret bewerten wir den Entwurf des Hydrogen and Decarbonised Gas Market Package der EU-Kommission aus der coevolutionären Sichtweise.
Die Pläne der EU-Kommission
Durch die am 15. März verabschiedete Position des Europäischen Parlaments zum Hydrogen and Decarbonised Gas Market Package treten nun die Entwürfe zu der Verordnung und der Richtlinie über die Binnenmärkte für erneuerbare Gase und Erdgas sowie für Wasserstoff in die nächste Gesetzgebungsphase. Vorgestellt von der EU Kommission Mitte Dezember 2021 legen diese Entwürfe den Regelrahmen für die zukünftige Wasserstoffmärkte und -Infrastruktur fest. Dabei orientieren sich die Entwürfe stark an den Governance-Modellen aus den bestehenden Gas- und Stromsektoren.
Wie wir bereits berichtet haben, bedeutet dies im Kontext der Wasserstofftransportinfrastruktur konkret: einen neutralen Netzzugang, Entflechtung und regulierte Netzentgelte. Zudem wird eine horizontale legale und buchhalterische Entflechtung zwischen dem Gas- und Wasserstoffnetz eingeführt. Dies soll laut der EU-Kommission und dem EU-Parlament der Quersubventionierung zwischen den Sektoren und damit einer potenziellen Wettbewerbsverzerrung zwischen Anbietern der Wasserstoffinfrastruktur vorbeugen. Um dem frühen Entwicklungsstadium der Wasserstoffinfrastruktur Rechnung zu tragen, dürfen Mitgliederstaaten bis zum 31. Dezember 2030 von manchen dieser Vorgaben abweichen, bzw. sind zur vollständigen Umsetzung erst ab 1.1.2031 verpflichtet. Zwar werden hier aktuell spätere Fristen diskutiert (etwa 2036), im Kern bleibt der Ansatz einer frühzeitigen Umstellung der Regulierung bestehen.
Diese Vorgaben der EU-Kommission sind ohne Zweifel bei einer ausgereiften Wasserstoffpipelineinfrastruktur sinnvoll. Es ist auch richtig, den zukünftigen Regelrahmen für diese Infrastruktur bereits jetzt zu skizzieren, um Klarheit bei den Investitionsentscheidungen zu schaffen. Es ist jedoch fraglich, ob der Einsatz der skizzierten Regeln zu einem vorab festgelegten Umsetzungsdatum, d.h. ab dem 1.1.2031 (oder auch 2036), zielführend ist.
Was dies konkret bedeutet? Ein so strenger Regelrahmen sollte normalerweise durch ein Wettbewerbsversagen gerechtfertigt werden, z.B. durch einen nachweislich fehlenden Wettbewerb zwischen verschiedenen Wasserstofflieferoptionen beim Endkunden. Die EU-Kommission scheint in diesem Kontext eine flächendeckende Wasserstoffpipelineinfrastruktur anzuvisieren, d.h. ein natürliches Monopol wie bei den Strom- und Gasnetzen. In einem solchen Fall entsteht ein offensichtlicher Regulierungsbedarf, um übertriebenen Transportkosten vorzubeugen und Servicewettbewerb auf Grundlage der Monopolinfrastruktur zu erzeugen. Beides ermöglicht den Wasserstoffpreis bzw. die Transportkosten für Wasserstoff für den Endabnehmer zu senken.
Diese Annahme der Kommission schafft jedoch zwei Probleme für den Aufbau der Wasserstofftransportinfrastruktur: Zum einem ist es unsicher, ob sich eine flächendeckende Wasserstoffpipelineinfrastruktur bis zum gesetzten Datum (aktuell 1.1.2031) entwickelt wird. Sollte dies nicht der Fall sein, können die strikten Vorgaben der Kommission nach unseren Analysen durchaus zu Verzerrungen zwischen den Infrastrukturanbietern bei dem Aufbau von Wasserstoffinfrastruktur führen, bzw. die Umnutzung von Gasnetzen benachteiligen. Zum anderen ist es unsicher, ob sich eine flächendeckende Wasserstoffpipelineinfrastruktur überhaupt durchsetzen wird.
Die zukünftige Entwicklung des Wasserstoffsektors ist heute noch viel zu unsicher, um eine Vorhersage zur zukünftigen Wasserstofftransportinfrastruktur derzeit überhaupt zu treffen. Dieses Argument ist nicht neu und wurde erst vor kurzem durch meinen Kollegen am Oxford Institute for Energy Studies (OIES) erneut bekräftigt (vgl. OIES Paper ET22).
Die technische Unsicherheit zur Entwicklung von Wasserstoffsektor
Die zukünftige Entwicklung des Wasserstoffsektors in Deutschland wurde auf Einladung der OIES and RIFS Potsdam in einer Expertenrunde aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik thematisiert, die erst vor kurzem in Berlin stattgefunden hat. Ich selbst durfte dort teilnehmen. Die Expertenrunde sollte die Herausforderungen beim Aufbau der Wasserstoff-Wertschöpfungskette in Deutschland bewerten. Dabei wurde in dieser ersten Runde der Fokus nur auf die Produktion von grünem und blauem Wasserstoff gelegt; weitere Themen sollen später folgen.
Die technische Unsicherheit zur Entwicklung des Wasserstoffsektors wurde in den Gesprächen der Experten schnell zu einem der zentralen Punkte in der Diskussion. Interessanterweise zeigte sich in der Debatte, dass nicht erwartet wird, dass die Unsicherheit beim Wasserstoff nachfragegesteuert ist, da alle derzeit international geplanten Projekte zur Erzeugung von grünem Wasserstoff nicht ausreichen werden, um die heutige Nachfrage nach grauem Wasserstoff, d.h. Wasserstoff aus konventioneller fossiler Erzeugung, zu decken. Zu dieser bestehenden Nachfrage kommt in der nahen Zukunft noch die Nachfrage aus schwer zu elektrifizierenden Sektoren hinzu, wie z.B. bestimme Bereiche im Verkehr und der Industrie. Das heißt, es besteht ein hohes Nachfragepotenzial nach klimaneutralem Wasserstoff, der alle derzeit geplanten Kapazitäten zur Erzeugung von grünem Wasserstoff übersteigt.
Nun kommt aber das ABER. Die Angebotsseite, d.h. die Wasserstofferzeugung, ist nach Ansicht der Experten unsicher. Dabei steht nicht die Frage in Raum, ob klimaneutraler Wasserstoff in ausreichender Menge erzeugt wird, sondern viel mehr, wie diese Wasserstofferzeugung organisiert wird. Primär ist es unklar, ob der zukünftige Wasserstoffsektor zentral oder dezentral aufgebaut wird. Das lässt sich so erklären: Derzeit wird die Mehrheit der Wasserstofferzeugung in Form von kleineren Elektrolyseanlagen geplant, was für ein eher dezentrales System spricht. Gegen ein dezentrales System spricht hingegen, dass die deutlich geringere Anzahl an geplanten Großanalgen zur Wasserstofferzeugung eine höhere Umsetzungswahrscheinlichkeit aufweist, was wiederum auf einen zentralisierten Wasserstoffsektor nach dem Vorbild der konventionellen Strom- und Gasversorgung schließen lässt. Unabhängig davon ist jedoch aus heutiger Perspektive absehbar, dass eine potenzielle Entwicklung zu einem zentralisierten System erst ab 2030 überhaupt einsetzen könnte. Bis 2030 sind fast nur kleine, d.h. on-site, und mittelgroße Wasserstoffanlagen zur Versorgung von Einzelverbrauchern und kleineren regionalen Clustern vorgesehen.
Um die Entwicklung der Wasserstofferzeugung nach 2030 besser einzuschätzen, haben die Experten auf die verfügbare Kapazität von erneuerbarer Erzeugung in Deutschland im Jahr 2045 geschaut und diese mit dem Energiebedarf der klimaneutralen deutschen Wirtschaft in 2045 verglichen. Der Importbedarf von grünem Wasserstoff wurde in diesem Kontext auf intensivste diskutiert. Hier betonen die Experten, dass erhebliche Unsicherheiten zur erneuerbaren Erzeugung auch bei potenziellen Exporteuren von grünem Wasserstoff bestehen. Es ist wahrscheinlicher, dass solche Exporte, bzw. deutsche Importe, zunächst eher aus blauem Wasserstoff bestehen werden, d.h. zu Wasserstoff aufbereitetes Erdgas, bei dessen Herstellung die CO2 Emissionen durch Carbon Capture Use and Storage (CCUS) eingefangen und gespeichert werden. Hier sind insbesondere zwei Umsetzungsszenarien diskutiert worden:
Ein direkter Wasserstofftransport über eine dezidierte Wasserstoffinfrastruktur, oder ein Transport von Erdgas nach Deutschland durch die bestehende Erdgasinfrastruktur, um dann in Deutschland zu Wasserstoff aufbereitet zu werden. Da bei der Aufbereitung des Erdgases CO2 Emissionen vor Ort entstehen, wird bei dieser Lösung eine zusätzliche CO2-Infrastruktur zum Abtransport von CO2 Emissionen benötigt. In zweiten Fall sollten dann Synergien mit CO2-Infrastruktur zum Abtransport von Emissionen aus Industriezweigen, die schwer zu dekarbonisieren sind, genutzt werden. Bei dem ersten Fall muss aber bedacht werden, dass Wasserstofftransport per Schiff problematisch, bzw. nur in Form von Derivaten wie z.B. Ammoniak, aus heutiger Sicht wirtschaftlich möglich scheint. Daher ist die Entwicklung von einem globalen Wasserstoffmarkt bis 2045 fraglich, vor allem wenn man sich die vorhandene Erfahrung mit leichter zu transportierendem LNG anschaut. Vor diesem Hintergrund scheint ein Szenario mit einem regionalen Markt für grünen und blauen Wasserstoff ‚um die Europa herum‘ realistisch. Dieser regionale Markt wäre dann vorraussichtlich vor allem durch Pipelines geprägt und würde potenziell durch einen globalen Schifftransport von wasserstoffbasierten (Zwischen-)Produkten ergänzt. Ein vollständig globaler Wasserstoffmarkt erscheint aus heutiger Sicht erst im Zeitraum nach 2045 wahrscheinlich.
Koevolution des Regulierungsrahmens mit der deutschen Wasserstofftransportinfrastruktur
Anhand von diesem Experteninput kann eine Prognose zum technischen Entwicklungsstand von deutscher Wasserstofftransportinfrastruktur in 2030 und 2045 getroffen werden.
Den ersten Zeitabschnitt abzuschätzen, d.h. die Entwicklung bis 2030, scheint die kleinere Herausforderung darzustellen. Aus heutiger Sicht wird der Wasserstoffsektor in 2030 dezentral organisiert, d.h. primär von dezentraler Wasserstofferzeugung on-site und von regionalen Clustern geprägt, wie diese teilweise schon heute rund um einzelne Industriestandorte bestehen. Es ist nach heutigem Kenntnisstand auch absehbar, dass wenige erste Pipelineprojekte für blauen Wasserstoff, die sich heute bereits in der Planungsphase befinden, pünktlich bis 2030 umgesetzt werden können. Es wird sich daher bis 2030 um keine flächendeckende Pipelineinfrastruktur für Wasserstoff handeln, die reguliert werden müsste. Vielmehr dürften dies einzelne Pipelines werden, häufig von Verbrauchern selbst beauftragt, die regional erzeugte oder importierte klimaneutrale Wasserstoff zwischen nur wenigen Verbrauchern verteilen. Dabei muss sich diese Transportinfrastruktur immer gegen eine on-site Anwendung oder den Verbleib beim grauen Wasserstoff durchsetzen.
Für 2045 ist dagegen eine Wasserstoffpipelineinfrastruktur in Deutschland eher darstellbar, wobei aus heutiger Sicht auch noch unsicher. Dies hängt neben den Skaleneffekten bei der Wasserstofferzeugung, d.h. inwieweit solche Effekte den Aufbau von einer Wasserstoffimportinfrastruktur nach dem Vorbild der Gasinfrastruktur finanzieren können, auch von dem Aufbautempo der Erneuerbaren in potenziellen Exportländern ab, sowie von der politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz beim blauen Wasserstoff in Deutschland. Sollte diese Akzeptanz steigen, bzw. in 2045 vorhanden sein, so ist eine Wasserstoffpipelineinfrastruktur wahrscheinlicher, da blauer Wasserstoff im Jahr 2045 voraussichtlich ausreichend verfügbar sein wird.
Dieser technologische Entwicklungsstand bringt zwei Aspekte mit sich, die im Design der Wasserstoffnetzregulierung berücksichtigt werden sollten. Erstens, es wird sich voraussichtlich nicht nur in 2030, sondern auch in 2045 um Pipelines handeln, die Wasserstoff von der Grenze in nur wenige industriegeprägte Verbrauchsregionen in Deutschland transportieren, oder regionale Wasserstofferzeugung unter wenigen Verbrauchern verteilen (vgl. Abb 1). Dabei wird der Wettbewerbsvorteil von dieser Infrastruktur von den Skaleneffekten bei der Wasserstofferzeugung (Elektrolyse) und ggf. von regionalen Kostenunterschieden bei erneuerbarer Stromerzeugung, bzw. vom Gaspreis beim blauen Wasserstoff, abhängig sein. Ob diese Faktoren regulierungsrelevante Monopolaufschläge oder überhaupt eine Pipelineinfrastruktur als natürlichen Monopol erzeugen, ist derzeit noch nicht abzusehen.
Abb. 1: Regionen mit technischem Überschuss- oder Defizitpotenzial bei erneuerbaren Stromerzeugung nach dem Abzug des aktuellen Stromverbrauchs in allen Sektoren sowie des Strombedarfs zur Abdeckung des aktuellen grauen Wasserstoffverbrauchs durch grünen Wasserstoff (Quelle: Kakoulaki et. al. 2021).
Zweitens, es ist absehbar, dass die deutsche Pipelineinfrastruktur erst ab 2030 bzw. vor allem im Laufe der 2040er umgesetzt wird. Hiermit fällt der Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur höchstwahrscheinlich in einen ähnlichen Zeitrahmen wie der Aufbau der notwendigen deutschen CO2-Infrastruktur und die Stilllegung der heutigen Gastransportinfrastruktur. Gleichwohl soll dieser Zeitrahmen bereits von der ‚strengen‘ Regulierung der Wasserstofftransportinfrastruktur nach dem Hydrogen and Decarbonised Gas Market Package der EU-Kommission erfasst werden. Wie bereits oben skizziert, gehen meine Kollegen und ich anhand unserer Analysen davon aus, dass dieser Regelrahmen die Nutzung der Synergien zwischen diesen Infrastrukturen behindert und damit eine integrierte Infrastrukturplanung in Deutschland erschwert, bzw. ineffizient macht.
Nach der Logik der institutionellen Coevolution wäre es daher in Rahmen der anstehenden Positionsfindung des EU-Councils zu diesem Package zu empfehlen, dass die deutsche Delegation sich für eine Zeitverschiebung bei der Umsetzung der ‚strengen‘ Regulierung für Wasserstofftransportinfrastruktur einsetzt, bzw. für einen bedarfsgerechten Regulierungsansatz, wie zum Beispiel in Rahmen der Eingangskonsultation der EU-Kommission von Council of European Energy Regulators vorgeschlagen (CEER 2021). Zwar gibt es durchaus sinnvolle Argumente für den strengen Regulierungsrahmen, wie er derzeit für den Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur angedacht wird. Aus unserer Sicht sollten die Anforderung an die Regulierung aber enger mit dem tatsächlichen Aufbau der deutschen Infrastruktur, d.h. dessen technischen Entwicklungsstand, abgestimmt werden.