Die „Energiewendekompetenz“ in der ARegV - Erste Ideen zur Ausgestaltung
Im Januar 2024 hat die BNetzA zur Vorbereitung der nächsten Perioden der Anreizregulierung für die Strom- und Gasnetze ein Eckpunktepapier zur Konsultation vorgelegt. Dieses Eckpunktepapier beschreibt punktuell den Anpassungsbedarf an der aktuellen Regulierung der Netzbetreiber aus Sicht der BNetzA.
Kapitel D beschreibt die geänderten Anforderungen an die Regulierung aus Sicht der BNetzA. Mit dem Start der nächsten Regulierungsperiode blicken wir auf 20 Jahre Anreizregulierung mit starkem Fokus auf Effizienzverbesserung zurück. Die Anreizregulierung hat zweifelsfrei ihre diesbezügliche Wirkung entfaltet, aber tatsächlich ändert sich die Welt und entsprechend sollten die Ziele der Regulierung an diese Veränderungen angepasst werden. Insbesondere die Energiewende führt zu neuen Anforderungen für die Energienetze: Umbau, Ausbau und Gesamtsystemoptimierung rücken stärker in den Vordergrund. Die Anreizregulierung sollte jetzt stärker auf effiziente Investitionen zielen. Vor dem Hintergrund der Energiewende kann man daher über einen notwendigen Wandel von der Effizienz- hin zu einer Investitions-orientierten Regulierung sprechen.
Energiewendekompetenz in der ARegV?
Kapitel E erwähnt bei den Zielen der Regulierung an prominenter Stelle den „Aufbau einer Energiewendekompetenz“. Energiewendekompetenz wird dort allgemein beschrieben als die „Leistungsfähigkeit zur Umsetzung der Energiewende“. Kapitel G.6 stellt die Möglichkeit vor, Anreize zum Aufbau einer Energiewendekompetenz bei den Netzbetreibern analog zum Qualitätselement zu etablieren. Entsprechend könnte man statt Energiekompetenz von einer „Energiewendekomponente“ als ergänzendes Outputelement in der Anreizregulierung sprechen. Das wäre eine echte Innovation und sehr zu begrüßen.
Energiewendekompetenz und output-orientierte Regulierung (OOR)
Was aber ist genau mit der Energiewendekompetenz gemeint? Zunächst kurz zum Hintergrund. Die Regulierung der Stromnetze steht aktuell vor einer potenziell weitreichenden Anpassung in Richtung einer output-orientierten Regulierung (OOR). Sie ergänzt die im Kern fortbestehende Anreizregulierung durch Erlöselemente, die an das Erreichen spezifischer Leistungsziele (Outputs) gekoppelt sind und den gesellschaftlichen Nutzen der Outputs angemessen widerspiegeln sollen. Die Idee hierbei ist somit nicht, die bestehende Regulierung durch einen neuen Ansatz zu ersetzen. Stattdessen erweitert OOR das Basismodell der Anreizregulierung selektiv um einzelne OOR-Elemente. Eine Energiewendekomponente würde genau das im Sinne der OOR machen: das Ziel des Aufbaus einer Energiewendekompetenz wird demnach zusätzlich zur Basisanreizregulierung angereizt.
Mögliche Ausgestaltungen der Energiewendekompetenz in der ARegV
Die Idee ist sehr gut, aber wie genau sähe das im Detail aus? Das Eckpunktepapier gibt schon einige Hinweise, aber im Grunde wird klar, dass die Details noch allesamt ausgearbeitet werden müssen und dass dazu noch viel Diskussion bevorsteht: was genau umfasst Energiekompetenz, welche Indikatoren werden herangezogen und wie genau werden die Ziele angereizt? Hier steckt der Teufel im Detail.
Was wäre zum Beispiel als Ziel, auf den die Anreize der Energiewendekompetenz ausgerichtet sind, überhaupt denkbar? Zusammen mit meinen Kollegen an der Constructor University habe ich in einer Studie (Brunekreeft, Meyer & Kuznir (2020)) mehrere Anwendungsbereiche und mögliche Indikatoren zur Anwendung von OOR bei Stromnetzen skizziert. Einige davon würden sich ggf. auch für eine Energiewendekomponente eignen. Dabei handelt es sich um Auszüge aus unserem OOR-Bericht, der noch weitere Details zu den Indikatoren beinhaltet.
Geschwindigkeit des Netzausbaus
Verzögerungen bei der Netzentwicklung haben erhebliche Auswirkungen auf den Strommarkt und verursachen Netzengpässe, die mit hohen Kosten für Redispatch-Maßnahmen verbunden sind. Wenngleich die Ursachen nicht bei den Netzbetreibern liegen, haben diese dennoch Möglichkeiten, selbst Einfluss auf die Geschwindigkeit des Netzausbaus zu nehmen. Mittels output-orientierter Erlöskomponenten könnte das Ziel eines zügigen Netzausbaus unmittelbar angereizt werden, indem z.B. Bonus- (oder Malus-) Zahlungen an konkrete Zielvorgaben geknüpft werden, zu welchem Zeitpunkt einzelne Projekte realisiert werden sollen.
Geschwindigkeit von Netzanschlüssen
Neben dem Netzausbau ist auch ein zügiger Netzanschluss von hohem gesellschaftlichem Interesse. Dies gilt sowohl aus klimapolitischer (Anschluss dezentraler Erneuerbarer) als auch aus wirtschaftspolitischer Sicht (Anschluss flexibler Ressourcen zur Vermeidung teurer Redispatch-Maßnahmen). Wenngleich für Netzbetreiber gesetzliche Verpflichtungen bestehen, die insbesondere nach § 8 EEG einen vorrangigen Netzanschluss für erneuerbare Energien vorsehen, können gezielte ökonomische Anreize aus gesellschaftlicher Sicht einen Mehrwert schaffen. Auch hier wäre eine output-orientierte Komponente möglich, die die Geschwindigkeit des Netzanschlusses explizit vergütet und somit das ökonomische Risiko kompensiert.
Entwicklung von Smart Grids
Die Entwicklung von Smart Grids ist nach wie vor ein großes Thema, wobei weder streng definiert ist, was Smart Grids genau sind, noch einheitliche Zielvorstellung existieren. Konsensfähig erscheint allerdings, dass die Entwicklung von Smart Grids wichtig für die Energiewende und förderwürdig ist. Dabei können kombinierte Anreizkomponenten für die Entwicklung von Smart Grids angewandt werden. Die Leistungen der Netzbetreiber können z.B. basierend auf Benchmarks von Entwicklungsstrategien, Praktiken und Investitionen im Bereich der Netzmodernisierung bewertet werden. Der Anreizmechanismus kann ein reines Ranking (best practice) sein, kann aber auch monetarisiert werden.
Förderung neuer Märkte
Rund um die Stromnetze sind unterschiedliche Märkte entstanden, die direkt (Strommärkte) oder indirekt (z.B. Regelenergiemärkte und Kapazitätsmärkte) der zuverlässigen und bezahlbaren Stromversorgung der Kunden dienen, aber zunehmend als Plattformen für Energiedienstleistungen einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Die Energiewende ist ein wesentlicher Treiber der Entwicklung neuer Dienstleistungen und Marktplattformen. Die Entstehung und das Funktionieren neuer digitaler und/oder dezentraler Märkte wird maßgeblich durch den Netzbetreiber beeinflusst, der mit seinen Aktionen Handel ermöglichen, Wettbewerb und volkswirtschaftliche Effizienz fördern und neue Märkte schaffen oder mitgestalten kann. Output-orientierte Anreize können für die Förderung neuer Märkte in Betracht genommen werden.
Reduktion von THG-Emission im Netzbereich
Die Netzbetreiber haben im Bereich Nachhaltigkeit die Aufgabe, den Betrieb mit einem Minimum an negativen Umwelteinflüssen zu gestalten. Das THG-Protokoll beinhaltet hierbei die Scope 1-, Scope 2- und die Scope 3-Emissionen. Die damit verbundenen Umweltschutzausgaben (Investitionen in Umweltschutz und laufende Anwendungen im Umweltschutz) werden allerdings nicht explizit angereizt. Es fehlen finanzielle Anreize, die den Netzbetreiber z.B. die Begrenzung der Anwendung von SF6 im Betrieb kompensieren. Output-orientierte Anreize könnten den Netzbetreiber ermöglichen, die kostenwirksamen Mittel zur Erreichung von THG-Reduktion auszuwählen und dafür finanzielle oder nicht-monetäre Belohnungen erhalten.
Netzintegration erneuerbarer Energien
Zwar regelt insb. das EEG eine prioritäre Behandlung erneuerbarer Energien, aber das heißt nicht, dass die Netzbetreiber adäquate Anreize haben, dies effizient umzusetzen oder gar darüber hinaus zu gehen. Im Gegenteil ist es leicht vorstellbar, dass verzerrte Anreize gegen eine verstärkte EE-Integration vorliegen.
Um die Netzintegration des EE-Stroms effektiv voranzutreiben, könnten noch weitere Maßnahmen ergriffen werden, beispielsweise
Netzausbau beschleunigen,
EE-Netzanschluss verbessern,
Digitale Lösungen und Speicher für Optimierung bzw. Kapazitätssteigerung der Netze fördern,
EE-Priorität bei Beschaffung von Systemdienstleistungen (Regel- und Reserveenergie).
Auch hier können output-orientierte Regulierungselemente eine wichtige Rolle spielen.
Die obige Auflistung illustriert lediglich welche Anwendungsbereiche für eine Energiewendekompetenz denkbar wären. Die Liste ist keinesfalls vollständig. Zudem gibt es viele weitere Anwendungsbereiche output-orientierter Regulierungselemente, die nur bedingt mit der Energiewende zu tun haben, aber nichtsdestotrotz erwägenswert sind.
Die obigen Beispiele stehen bei der Umsetzung bestimmt diversen Herausforderungen gegenüber. Jedoch wurden diese Beispiele in der internationalen Regulierungspraxis hier und da bereits umgesetzt (siehe hierzu Brunekreeft, Kusznir und Meyer (2020)), sodass wir schließen können, dass eine Umsetzung im Prinzip möglich