Ausblick Winter 23/24 – Die wirkliche Herausforderung in der Energiekrise? Kernaussagen und Kontext des IEA-Ausblicks
Dieser Beitrag wurde unter Mitarbeit von Maximilian Fröhlich erstellt.
Vor kurzem hat die IEA einen Ausblick auf die Erdgasversorgung in Europa für den Winter 2023/2024 veröffentlicht. In diesem Blogpost greifen wir die aus unserer Sicht elementaren Aussagen auf.
Der Winter 2023/2024 wird eine größere Herausforderung als der aktuelle Winter
Günstige Dynamiken im LNG-Markt, insbesondere eine niedrige LNG-Nachfrage aus China, stabile Pipeline-Lieferungen von nicht-russischen-Lieferstaaten, politische Maßnahmen und eine niedrige Nachfrage führen aktuell in Kombination dazu, dass die Versorgung mit Erdgas im aktuellen Winter nicht so kritisch ist wie noch Anfang des Jahres befürchtet wurde. Für den nächsten Winter 2023/2024 erscheint aber schon jetzt absehbar, dass sich die Rahmenbedingungen noch ungünstiger darstellen könnten. Dazu zählen beachtlich geringere Lieferungen aus Russland aber auch der Wettbewerb aus China in Bezug auf die vorhandenen LNG-Reserven.
Weniger russisches Erdgas in 2023 als 2022
Trotz den starken Liefereinschränkungen aus Russland beliefen sich die Pipelinelieferungen im ersten Halbjahr auf einem großenteils „normalem“ Niveau. Laut Schätzungen der IEA könnte sich die russische Gesamtliefermenge für das Gesamtjahr 2022 auf 60 Mrd. m³ erstrecken. Man kann es als zumindest unwahrscheinlich bezeichnen, dass diese 60 Mrd. m³ auch in 2023 nach Europa fließen werden. Geht man davon aus, dass das aktuelle Exportniveau konstant bleibt für 2023, dann ist eine Liefermengen von ungefähr 25 m³ russischem Erdgas nach Europa das zu erwartende Maximum. Dabei bestehen aber weitere Unsicherheiten, so dass dieser Wert aus heutiger Sicht auch auf Null sinken könnte.
Pipeline gebundene Alternativen sind weitestgehend ausgeschöpft
Grundsätzlich bestehen zwar alternative Pipeline-Lieferanten zum Import von Erdgas nach Europa zur Verfügung, allerdings sind diese Kapazitäten aus Aserbaidschan und Norwegen schon in 2022 ausgelastet worden. Lediglich Algerien könnte noch ein zusätzliches Importpotenzial bieten, falls weitere Gasfelder in 2023 erschlossen werden. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die aktuellen Pipeline-Lieferanten für Europa und die Potenziale für 2023.
LNG Nachfrage steigt nicht nur in Europa
2022 war die LNG-Nachfrage in China relativ gering, u.a. auf Grund der geringere Produktion durch die COVID-Pandemie. Dadurch konnten frei Kapazitäten, die eigentlich nach China gehen sollten, nach Europa umgelenkt werden. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass das weltweite LNG-Angebot im kommenden Jahr um 20 Mrd. m³ steigen könnte. Angetrieben von der Inbetriebnahme der Calcasieu Pass LNG-Anlage in den USA und der Coral South LNG-Anlage in Mosambique sowie der Wiederinbetriebnahme der Freeport-LNG Anlage in den Vereinigten Staaten. Da auch in China in 2023 wieder mit einem Anstieg der LNG-Nachfrage ausgegangen wird, werden diese zusätzlichen Kapazitäten kaum für preisliche Entspannung in Europa führen können. Hier kommt hinzu, dass China durchaus bereit ist sehr lange Lieferverträge zu schließen, während hier europäische Partner, wie auch Deutschland, wesentlich zurückhaltender sind. Nicht zuletzt deshalb, da wir in Europa in 22 Jahren bereits klimaneutral sein wollen und ab 2045 kein fossiles Erdgas mehr durch europäische Pipelines geführt werden soll. Daher hat China hier auf dem LNG Markt durchaus einige Vorteile, die bei weiterhin knappen LNG-Kapazitäten ausschlaggebend werden können. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Struktur der LNG-Verträge Chinas. Dort wird ersichtlich, wie hoch der langfristig kontrahierte Anteil an der LNG-Nachfrage ist.
Niederlande fördern weniger Erdgas
Die Niederlande, und hier insbesondere das Gasfeld in Groningen, werden ihre Erdgasförderung um ca 40% gegenüber der Förderperiode 2021-22 reduzieren. Da zusätzliche Kapazitäten in Dänemark voraussichtlich erst Ende 2023 erschlossen werden, und auch Großbritannien kaum zusätzliche Kapazitäten in 2023 zur Verfügung wird stellen können, sind die Optionen zur Steigerung der europäischen Gasförderung sehr limitiert. Gleichzeitig wird die Ukraine voraussichtlich mindestens 5 Mrd. m3 Erdgas aus Europa importieren müssen, um im Winter 2023 auf ein ähnliches Speicherniveau zu kommen, mit dem es in den aktuellen Winter gestartet ist. Dabei gilt, dass die Speicherstände mit rund 14 Mrd. m3 signifikant unter dem historischen Durchschnitt liegen. Aber selbst dieses Niveau wird im nächsten Winter nur durch umfassende Exporte aus Europa erreichbar werden.
Defizit von 30 Mrd. m3 Erdgas 2023 möglich
Treten die oben zusammengefassten Prognosen ein, insbesondere eine steigende Nachfrage nach LNG aus China auf dem Niveau von 2021 und geringe Importe aus Russland, so könnten laut Schätzungen der IEA ca. 30 Mrd. m3Erdgas fehlen, um die Speicher bis zu 95 % ihrer Kapazität bis zum Beginn der Heizperiode 2023-24 zu füllen. Diese Schätzung basiert auf der Annahme, dass die Erdgasnachfrage in der Europäischen Union und im Vereinigten Königreich im Zeitraum November 2022 bis März 2023 um 11 % gegenüber dem 5-Jahres-Durchschnitt zurückgehen wird und die Gasspeicher am Ende dieses Winters zu etwa 30 % gefüllt sind. Fällt einer dieser Werte niedriger aus als erwartet, vergößert sich die Versorgungslücke entsprechend.
Wie kann diese Lücke geschlossen werden?
Abbildung 3 gibt einen Überblick über die potenzielle Versorgungslücke.
In dem aktuellen Winter wirken die geringen Verfügbarkeiten von Kernkraftwerken in Frankreich und die geringen Pegelstände auch bei den Wasserkraftwerken als zwei zentrale Faktoren, die zusätzlich zu den geringer Gasimporten aus Russland die Preise auf den europäischen Energiemärkten treiben. Selbst aber eine Erhöhung der europäischen Wasserkrafterzeugung auf ihren 5-Jahres-Durchschnitt und eine höhere Atomstromerzeugung in Frankreich (entsprechend dem mittleren Bereich der jüngsten Prognose von EDF) könnte das Defizit auf 22 Mrd. m³ verringern, würde es aber nicht beseitigen. Damit rückt die Erdgasnachfrage wieder in den Mittelpunkt. Die Engpässe beim verfügbaren Angebot würden die Preise erneut unter immensen Druck setzen. Zentral ist es also, dass in 2023 der Strukturwandel der europäischen Gasnachfrage beschleunigt wird. Es gilt also jetzt frühzeitig Investitionen zur Reduktion der Gasnachfrage, insbesondere durch die Substitution von Erdgas durch andere Energieträger, zu ermöglichen. Genau darauf zielen Programme, wie unsere Arbeitsgruppe an der Jacobs University sie auch schon im Rahmen der dena Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität vorgeschlagen haben, etwa der Nutzung von Carbon-Contracts-for-Difference (CCfD), um sicherzustellen, dass die Investitionen zur Reduktion der Erdgasnachfrage gleichzeitig auch eine Transformation zur Klimaneutralität ermöglichen, statt fossile Technologien, wie etwa Öl-basierte Ansätze, wieder Aufschwung zu verleihen. Weitere Maßnahmen, die die IEA in einem weiteren Bericht diesen Dezember hervorhebt sind Energieeffizienzmaßnahmen, der bescheinigte Ausbau der Erneuerbaren Energien und eine noch schnellere Elektrifizierung der Wärmeversorgung. Diese Hinweise sind dabei nicht neu, aber die Dringlichkeit, mit der diese nun in 2023 umgesetzt werden müssen hat ein neues Niveau erreicht.
Weitere Hintergründe zu solchen Ansätzen im Marktdesign finden sie in diesem Blogpost zum Energiemarktdesign.