Redispatch 3.0 – Ansätze zur marktbasierten Lastintegration

Hintergrund

Die aktuelle EU-Verordnung über den Elektrizitätsbinnenmarkt (2019/943) sieht in Artikel 13 vor, dass ein marktbasierter Redispatch seitens der Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber zur Engpassbewirtschaftung genutzt werden soll, wenn dem nicht entscheidende Gründe entgegenstehen. Dieser muss sowohl allen Erzeugungstechnologien als auch allen Arten der Energiespeicherung und Laststeuerung, sofern technisch machbar, offenstehen.

Die bisherige Weiterentwicklung des Redispatchs in Deutschland (Redispatch 2.0) hat sich primär auf die Erzeugerseite fokussiert. Während sich das BMWK auf Grund möglicher Fehlanreize gegen einen marktbasierten Redispatch auf Übertragungsnetzebene entschieden hat, gilt, dass ein administrativer Redispatch nur sehr eingeschränkt geeignet ist, um die Lastseite (inkl. Speicher) einzubeziehen. Da dem Gesetzgeber diese Herausforderung auch bewusst ist, wurde mit dem §14c EnWG bereits eine erste rechtliche Grundlage geschaffen, um den Verteilnetzbetreibern eine marktbasierte Beschaffung von Flexibilität zu ermöglichen. Wie ein solcher marktbasierter Mechanismus aber aussehen könnte ist noch weitestgehend unklar. Die Debatte dazu wird zunehmend unter der Überschrift „Redispatch 3.0“ geführt. Aktuell befinden sich verschiedene Konzepte zu einer möglichen Ausgestaltung des Redispatch 3.0 in der Entwicklung (vgl. BDEW-Entwurf zu §14c EnWG, ÜNB-Projekt zu RD 3.0, diverse Forschungsprojekte wie bspw. das kürzlich gestartete Projekt „Redispatch 3.0“).

Wir geben in diesem Post eine erste Übersicht über verschiedene Umsetzungskonzepte, die wir im Rahmen eines Projektes für einen größeren VNB in Deutschland ausgearbeitet und bewertet haben.  

 

Definition von Redispatch 3.0

Der Studie liegt ein breites Verständnis von Redispatch 3.0 zugrunde. Redispatch 3.0 wird definiert als die marktbasierte Beschaffung von Lastflexibilität ergänzend zum administrativen Redispatch für Erzeuger. Dieses breite Verständnis umfasst damit sowohl eine Umsetzung über die Erweiterung des bestehenden Redispatch 2.0 durch die ÜNB und VNB (entsprechend der Anforderungen Art 13 EU–BMV), als auch als ergänzendes Instrument zum administrativen Redispatch, dass durch die VNB (z.B. über §14c EnWG) umgesetzt werden könnte.

Rechtlicher Rahmen

Grundsätzlich besteht mit Art 13 EU BMV eine rechtliche Grundlage, um Lasten marktbasiert zu beschaffen, allerdings wird dies aktuell im deutschen Recht (§13 EnWG) noch nicht ermöglicht. Darüber hinaus bietet der Art 32 EU BMRL und der darauf basierende §14c EnWG den VNB die Möglichkeit, Flexibilität zur Optimierung des Netzes marktbasiert zu beschaffen. In Bezug auf die Anwendung des §14c EnWG auf Redispatchmaßnahmen bestehen aktuell noch zwei zentrale Unsicherheiten: Zum einen gilt es zu klären, ob der §14c EnWG als Grundlage für Redispatchmaßnahmen herangezogen werden kann, oder ob dieser nur für andere Netzdienstleistungen gedacht ist. Zum anderen ist aktuell noch offen, ob die marktbasierte Beschaffung für Redispatchmaßnahmen im Rahmen der Festlegungskompetenz zu §14c EnWG der BNetzA analog zu der Entscheidung auf Übertragungsnetzebene auch auf der Verteilnetzebene ausgeschlossen wird.

Übersicht der aktuell diskutierten Ansätze zum Redispatch 3.0

Sechs teilwiese internationale Ansätze dienen als erste Orientierung, wie ein Redispatch 3.0 umgesetzt werden könnte:

  • Piclo Flex (UK): plattformbasierte langfristige Beschaffung von Systemdienstleistungen ohne kurzfristigen Handel

  • LocalFlex (UK/EPEX): plattformbasierte Beschaffung von Lastflexibilität (lang- und kurzfristiger Handel)

  • BDEW §14c Konzept: plattformbasierte Beschaffung von Lastflexibilität (lang- und kurzfristiger Handel)

  • TransetBW & TenneT „Hybrides Modell“:  plattformbasierte Beschaffung von Lastflexibilität (lang- und kurzfristiger Handel oder kurzfristige regulierte Preise)

  • freiwillige längerfristige Kapazitätsbeschränkungsverträge und kurzfristiger plattformbasierter Handel GOPACS (NL)

  • enera & windnode (DE): kurzfristiger plattformbasierter Handel von Lastflexibilität

Die folgende Abbildung gibt eine Übersicht über diese 6 Ansätze.

Abbildung 1: Vergleich der verschiedenen Umsetzungskonzepte Redispatch 3.0 (eigene Darstellung)

Der Lösungsraum  für Redispatch 3.0 auf der Verteilnetzebene

Basierend auf einer Bewertung der oben genannten sechs Umsetzungsmodelle wurden drei Optionen zur Umsetzung von Redispatch 3.0 in Deutschland abgeleitet. Die drei Lösungsoptionen dienen dann dazu den Lösungsraum zu beschreiben, in dem sich für VNBs verschiedene Lösungskonzepte für Redispatch 3.0 befinden. Dabei repräsentiert Option 1 insbesondere die Ansätze aus Großbritannien und den Niederlanden zur langfristigen Flexibilitätsbeschaffung, während Option 2 auf den aktuellen Überlegungen der ÜNB zur kurzfristigen Beschaffung von Lastflexibilität über das „hybride Modell“ darstellt. Option 3 beschreibt hingegen eine Kombination von kurz- und langfristiger Beschaffung, wie es in den Niederlanden umgesetzt wurde, allerdings in Abwandlung, um den niederländischen Ansatz auf die deutschen Gegebenheiten anzupassen.

  • Option 1: Langfristige Beschaffung von Systemdienstleistungen (SLD) (inkl. Redispatch) zur Reduktion struktureller Engpässe über einen plattformbasierten Ansatz (vgl. Piclo Flex in UK) oder bilaterale Verträge (Vgl. Freiwillige Kapazitätsverträge in NL)

  • Option 2: Kurzfristige Beschaffung zur Behebung von Engpässen über einen plattformbasierten Ansatz wie er etwa aktuell mit dem „hybriden Modell“ von TransnetBW & TenneT vorgeschlagen wird

  • Option 3: Kombinationen von lang- & kurzfristiger Beschaffung von SDL (inkl. Redispatch) unter Nutzung eines Mechanismus aus Option 1 zur Reduktion struktureller Engpässe, und einer kurzfristigen Beschaffung über einen plattformbasierten Ansatz wie er etwa aktuell mit dem „hybriden Modell“ von TransnetBW & TenneT vorgeschlagen wird, zur Reduktion nicht-struktureller Engpässe

Kernergebnisse der Analyse

Folgende Kernaussage können aus der Analyse abgeleitet werden:

Langfristige Verträge (Option 1), sei es basierend auf einem plattformbasierten Angebot (vgl. Piclo Flex) oder bilateralen Verträge (vgl. freiwillige längerfristige Kapazitätsbeschränkungsverträge in NL), setzen Investitionssignale und schränken damit Marktmacht ein. Darüber hinaus sind die Potenziale für gaming-Strategien (vgl. IncDec) durch die langfristige vertragliche Vorlaufzeit eingegrenzt. Allerdings steigt das Risiko bei langfristigen Ansätzen, dass Lasten nur eingeschränkt ihre Opportunitätskosten so langfristig abschätzen können, so dass Markteintrittsbarrieren für diese Lasten entstehen, oder die Lasten sehr hohe Risikoaufschläge in die Gebote integrieren müssen, so dass sie seltener bezuschlagt werden.

Kurzfristige Beschaffungsansätze z.B. über Arbeitspreisgebote, wie sie durch Ansätze im Bereich der Option 2 genutzt werden, ermöglichen auf Grund der kurzen Vorlaufzeit bis zum Erfüllungszeitraum eine bessere Abschätzung der Opportunitäten für die Lasten und Reduzieren damit Markteintrittsbarrieren. Allerdings besteht bei kurzfristigen marktbasierten Instrumenten das Risiko von potenziellen Ineffizienzen, etwa durch die Ausübung von Marktmacht und/oder Gaming.

Kombinierte Ansätze im Bereich der Option 3, die langfristige Verträge um kurzfristige Arbeitspreisgebote ergänzen, können bei entsprechender Ausgestaltung sowohl eine hohe Effektivität als auch Effizienz bei der Einbindung von Lasten in den Redispatch sicherstellen. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass insbesondere die Gaminganreize und auch Marktmachtpotentiale vom spezifischen Design eines solchen Systems abhängen. Gleiches gilt auch für Systeme, die längerfristige Leistungspreisgebote mit kurzfristigen Arbeitspreisgeboten kombinieren (wie z.B. das hybride Modell von TransnetBW und TenneT).

Abbildung 2 gibt eine Übersicht über die Umsetzungsoptionen von Redispatch 3.0 bezüglich des genutzten Marktmechanismus sowie der Bewertungsergebnisse hinsichtlich der zentralen Kriterien (Effizienzverluste durch Marktmacht & Gaming; Einbindung von Lasten und regulatorischer Aufwand).

Abbildung 2: Übersicht der Optionen zur Umsetzung von Redispatch 3.0 und ihrer Bewertung (eigene Darstellung)

Was folgt jetzt daraus für die Verteilnetzbetreiber?

Grundsätzlich kommt es zu einem Tradeoff zwischen einer möglichst effektiven Einbindung von Lasten und der Effizienz der Einbindung in den Redispatch, insbesondere auf Grund von Marktmacht oder Gamingrisiken. Da die langfristige Beschaffung von Flexibilität (Option 1) mit relativ geringen Marktmacht- und auch Gamingrisiken verbunden ist, wäre ein möglicher Ansatz für die Verteilnetzbetreiber, zunächst eine langfristige Beschaffung (plattformbasiert oder über bilaterale Verträge) aufzubauen, um dann zu erproben, ob tatsächliche Markteintrittsbarrieren für Lasten bestehen, insbesondere auf Grund der Schwierigkeit langfristig die Opportunitätskosten abschätzen zu können.  Darüber hinaus ließe sich so auch identifizieren, inwiefern ein zusätzlicher kurzfristiger Flexibilitätsbedarf besteht, der nicht über die langfristigen Kontrakte abgedeckt werden kann und den Aufbau einer zusätzlichen kurzfristigen plattformbasierten Beschaffung (vgl. Option 3) notwendig machen würde. Hier gilt aber, dass insbesondere die Ansätze zu Option 3 weiter spezifiziert und analysiert werden müssen.

Marius Buchmann

Marius ist Gründer und Geschäftsführer von EERA. Er unterstützt verschiedene Unternehmen, Verbände, NGOs und Ministerien zu Fragen rund um das Marktdesign, Regulierung und Digitalisierung im Energiesektor

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