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Eine Infrastruktur für grünen Wasserstoff – Wann, wieviel, wie regulieren und koordinieren?

Dieser Beitrag wurde gemeinsam mit Martin Palovic erstellt.

Die Veröffentlichung der Nationalen Wasserstoffstrategie in 2020 hat eine aktive politische und wissenschaftliche Diskussion zum Thema Wasserstoff in Deutschland entfacht. In allen Szenarien zur Erreichung der Klimaneutralität spielt Wasserstoff eine teilweise sehr zentrale Rolle. In der aktuellen Debatte sind dabei viele Aspekte der Wasserstoffeinführung noch nicht abschließend geklärt. Da diese Diskussion jedoch die gesamte Energiewirtschaft stark betrifft, fassen wir hier die wichtigsten Fragen und aktuelle Erkenntnisse aus dieser Diskussion kurz zusammen.

Welche Rolle wird Wasserstoff auf dem Weg zur Klimaneutralität spielen?

 Wasserstoff kann ein relevanter Baustein sein, um die Klimaziele in Deutschland möglichst schnell zu erreichen. Dabei gehen die Abschätzungen darüber, wie umfangreich der Anteil von Wasserstoff an der Transformation sein könnte, teilweise weit auseinander.

Ausschlaggebend für den tatsächlichen Bedarf an Wasserstoff sind zwar viele verschiedene Parameter, zwei grundsätzliche Kernfragestellungen (aus einer Vielzahl an offenen Fragen) stehen hier unseres Erachtens aber im Fokus.

Abbildung 1: Bandbreiten der Nutzung von Wasserstoff aus den fünf aktuellen Szenarien-Analysen zur Erreichung von Klimaneutralität in Deutschland.

Quelle: ariadne Projekt 2021

Erstens, es ist fraglich, in welchem Umfang der Energiekonsum insbesondere im Wärmebereich von fossilen Energieträgern auf strombasierte Wärmebereitstellung umgestellt werden kann und damit inwieweit Wasserstoff für die Deckung des Wärmebedarf benötigt wird. Zwar stellt sich letztlich eine ähnliche Frage im Verkehrsbereich, hier zeigen aber die Entwicklungen der letzten Jahre, dass durchaus eine Elektrifizierung zumindest des individuellen Personenverkehrs (sprich PkW) möglich erscheint. Im Wärmesektor stellt sich die Situation etwas anspruchsvoller dar. Hier sind insbesondere die Sanierungsquote im Gebäudebestand und die Geschwindigkeit des Stromnetzausbaus zu entscheidenden Faktoren geworden. Je höher die Sanierungsquote und je schneller der Stromnetzausbau umgesetzt werden können, desto größer wird der Anteil am Wärmebedarf, der über strombasierte Wärmepumpen versorgt werden kann. Nun sind diese beide Aspekte, die Sanierungsquote und der Stromnetzausbau auf Übertragungsnetzebene, genau die Bereiche, in denen bisher nur verhaltene Erfolge zur Beschleunigung erreicht wurden. Je geringer die Umsetzungsquote von Sanierungsmaßnahmen und Netzausbau, desto höher fällt der Bedarf an alternativen Energieformen u.a. eben auch Wasserstoff, im Wärmesektor aus. Dabei gilt es aber auch zu bedenken, dass der Einsatz von Wasserstoff im Wärmebereich (also auch in einigen Teilbereichen des Verkehrssektors)mit einer sehr geringen Effizienz einhergeht, wie die folgenden Abbildung sehr schön illustriert.

Abbildung 2: Vergleich der Effizienz eines Wasserstoffeinsatzes in Bezug auf den Energiebedarf nach Sektoren

Quelle: Fraunhofer IEE 2022

Zweitens ist entscheidend, zu welchen Kosten insbesondere grüner Wasserstoff zukünftig erzeugt werden kann bzw. wie sich diese Kosten im Vergleich zu den fossilen Alternativen entwickeln. Zwar sprechen die aktuellen Preisspitzen im Erdgassektor in Kombination mit einem steigenden CO2-Preis für eine frühzeitigere Wettbewerbsfähigkeit von grünem Wasserstoff, wann genau aber diese Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich erreicht wird, ist aktuell noch offen. So geht etwa der aktuelle Szenariorahmen des Netzentwicklungsplan Strom davon aus, dass Erdgas und grüner Wasserstoff bis 2037 etwa auf einem ähnlichen Preisniveau liegen werden.  Je höher dabei der gesamte Wasserstoffbedarf in Deutschland, desto relevanter werden insbesondere außereuropäische Quellen für grünen Wasserstoff und zu welchen Kosten dieser nach Deutschland transportiert werden kann.

Wie groß die Unsicherheit in Bezug auf diese beiden Dimensionen ist zeigt sich an der breiten Streuung des Wasserstoffbedarfs in verschiedenen Studien, der für 2045 von 100 GWh hin bis zu über 500 GWh variiert, wie in Abbildung 1 zu erkennen ist. Hinzu kommen die Unsicherheiten bezüglich der Nachfrage nach Energieträgern, die auf grünem Wasserstoff basieren, hier insbesondere die Rolle von Power-to-Liquid im Verkehrssektor und potenziell auch Power-to-Gas im Gebäudesektor für Gasversorgte Gebäude. Die gemeinsame Nachfrage nach Powerfuels und Wasserstoff in den aktuellen Szenarien für 2025 sind in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 3: Bandbreiten der Nutzung von Wasserstoff und E-Fuels aus den fünf aktuellen Szenarien-Analysen zur Erreichung von Klimaneutralität in Deutschland.

Quelle: ariadne Projekt 2021

Welche Rolle nimmt das Erdgasnetz bei der zukünftigen Wasserstoffversorgung ein?

Zum Transport von Wasserstoff stehen heute mehrere Optionen zur Verfügung. Mit LKW wird Wasserstoff bei kleinen Mengen über kurze Strecken als Gas und mittleren Mengen über mittlere bis lange Strecken verflüssigt transportiert. Bei großen Mengen kommen fast immer Wasserstoffpipelines zum Einsatz. Angesichts der erwarteten steigenden  Wasserstoffnachfrage fokussiert sich daher sowohl die deutsche als auch europäische Debatte zunehmend auf die Entwicklung eines innerdeutschen (potenziell auch europaweiten) Wasserstoffnetzes, das in weiten Teilen auf der etablierten Gasinfrastruktur aufbauen könnte. Dabei wird aktuell noch diskutiert, wie umfangreich so ein Hydrogene Backbone aussehen sollte. Während die Gasnetzbetreiber einen Bedarf für ein sehr umfassendes Wasserstoffnetz sehen, hat z.B. Agora Energiewende lediglich 4 no-regret Korridore für Wasserstoffnetze identifziert.  

Abbildung 4: Aktueller Vorschlag zum Hydrogen Backbone 2040

Quelle: European Hydrogen Backbone initiative 2021, supported by Guidehouse


Abbildung 5: No-regret-Pipeline-Korridore mit industriellem Wasserstoffbedarf in TWh pro Jahr im Jahr 2050

Quelle: Agora Energiewende 2021

Vorteil des Hydrogen Backbones ist, dass die Gasinfrastruktur bereits vorhanden ist und über Investitionen in H2-readyness verhältnismäßig leicht auf den Transport von Wasserstoff umstellbar sein soll. Zudem sind ggf. große Teile der ursprünglichen Investitionskosten durch die bisherige Nutzung als Gasleitung bereits abgeschrieben.

Es ist jedoch absehbar, dass sich das Umfeld der Wasserstoffwirtschaft signifikant weiterentwickeln wird, da diese erst am Anfang ihrer Entwicklung steht. Dies betrifft sowohl technologische Entwicklungen (etwa zur Skalierung der Elektrolyseure) der H2-Technologien selbst, aber eben auch die Weiterentwicklung alternativer Transportmöglichkeiten. Zudem kommt beim grünen Wasserstoff noch hinzu, dass dieser Bedarf auch gedeckt werden kann, indem zunächst Strom über das Stromnetz transportiert und erst am Zielort in den benötigten Wasserstoff umgewandelt wird. Wie oben schon angesprochen ist hier dann auch für die Wasserstoffinfrastruktur bzw. dem Bedarf an dieser Infrastruktur entscheidend, wie der Stromnetzausbau voranschreitet. Es bestehen also diverse Unsicherheiten, die den genauen Bedarf an Wasserstoffinfrastruktur signifikant beeinflussen können.

Hierdurch entsteht für die Regulierer der Gasnetze eine planerische Unsicherheit, die zeitnah gelöst werden muss. Konkret muss sichergestellt werden, dass immer dann eine Gasleitung für den Transport von Wasserstoff umgenutzt wird, wenn dies die günstigste Alternative darstellt. Hier müssen zwei Probleme gelöst werden. Erstens muss geklärt werden, wie ein Abgleich zwischen verschiedenen Transportoptionen ausgestaltet werden soll, der sicherstellt, dass eine Umnutzung erst dann stattfindet, wenn es die effizienteste Transportoption darstellt. Solch ein Abgleich kann grundsätzlich über Ausschreibungen adressiert werden, kann aber auch zum Beispiel über zusätzliche Anreizmechanismen in der bestehenden Regulierung umgesetzt werden (siehe hierzu den Whole System Approach von CEER und den Ansatz der output-orientierten Regulierung). Es sollte zum einen sichergestellt werden, dass es keine Anreize aus der Anreizregulierung gibt, die eine gesellschaftlich effiziente Umnutzung verhindern. Zum anderen sollten aber auch keine Anreize volkswirtschaftlich ineffiziente Umnutzungen vorantreiben.  

Muss die Wasserstoffinfrastruktur reguliert werden und wenn ja, dann wie?

Grundsätzlich ist der Aufbau und Betrieb der Wasserstoffinfrastruktur, ob leitungs- oder nicht-leitungsgebunden, aktuell eine wettbewerbliche Tätigkeit. Allerdings zeichnet sich jetzt schon ab, dass sich mit einem zunehmenden Bedarf an Wasserstoff ein möglicher Regulierungsbedarf ergeben könnte. Dies zeigen auch die aktuellen Darstellungen der Monopolkommission und der europäischen Regulierungsbehörde ACER. Stand heute gibt es demnach noch keinen Regulierungsbedarf, dieser könnte sich aber mit einer zunehmenden Entwicklung der Wasserstoffinfrastruktur ergeben. So sehen es aktuell auch die europäischen Regulierungsgremien, die daher ein Monitoringsystem vorschlagen, um frühzeitig einen etwaigen Regulierungsbedarf (potenziell Leitungsspezifisch) festzustellen. Dabei gilt, dass sich der Regulierungsbedarf erst dann entsteht, wenn es zu einem Marktversagen (z.B. Monopol) kommt. Während die aktuellen Konzepte zum Wasserstoff-Backbone letztlich eine monopolistische Infrastruktur prognostizieren, die entsprechend reguliert werden muss, liegt in der aktuellen Situation noch kein Monopol in der Wasserstoffinfrastruktur vor.

Die aktuellen Regelungen des EnWG und der WasserstoffNEV bieten daher die Option eines Opt-In zur Wasserstoffregulierung, der man sich aber nicht zwangsläufig unterwerfen muss. Dieses Vorgehen deckt sich zum einen mit der Einschätzung der Regulierungsaufsichten, dass grundsätzlich kein Regulierungsbedarf in der aktuellen Situation besteht, sich dies aber perspektivisch ändern könnte. Investoren erlangen so etwas mehr Investitionssicherheit, was eine zukünftige Regulierung bedeuten würde und könnten sich dieser auch heute schon unterwerfen.

Wer wird die Wasserstoffnetze zukünftig betreiben?

Wie schon oben beschrieben, wird erwartet, dass umgenutzte Erdgasnetze oft eine effiziente Lösung zum Transport von Wasserstoff darstellen werden. Offen ist dabei neben den Anreizen für eine Umstellung noch der Punkt, ob die Erdgasnetzbetreiber gleichzeitig auch die umgenutzte Wasserstoffinfrastruktur betreiben werden dürfen. Auf der einen Seite verfügen die Erdgasnetzbetreiber über das Knowhow zum Betrieb von Infrastrukturen und es bietet sich an diese Kompetenz auf die Wasserstoffversorgung anzuwenden. Gleichzeitig gilt aber weiterhin, dass aktuell die Wasserstoffinfrastruktur ein wettbewerbliches Element ist, bei dem noch kein Marktversagen vorliegt, welches eine Regulierung rechtfertigen würde. Bleibt es zunächst bei einer wettbewerblichen Wasserstoffinfrastruktur, stellt sich dann die Frage, wer der Betreiber einer auf Wasserstoff umgestellten Erdgasinfrastruktur wird. Der regulierte Erdgasnetzbetreiber, ein nicht regulierter Teil des Erdgasnetzbetreibers, oder eine dritte Partei, die die umzunutzende Erdgasinfrastruktur vom Erdgasnetzbetreiber erwirbt. Genau hier setzt auch der aktuelle Entwurf der EU-Gasrichtlinie an, der zunächst eine rechtliche Trennung und ab 2030 eine komplette Trennung (ownership unbundling) oder die Einführung eines Independent Hydrogen System Operator vorsieht. Hier gilt es die verschiedenen Vor- und Nachteile der jeweiligen Betreiberfunktion gegeneinander abzuwägen. Ein Automatismus, dass der Erdgasnetzbetreiber auch Betreiber der auf Wasserstoff umgestellten Leitung wird, besteht aus heutiger Sicht aber nicht immer. Unter welchen Bedingungen welches Betreibermodell volkswirtschaftlich sinnvoll ist gilt es weiter zu untersuchen.

Dabei sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass es auch zu einer Rückwirkung der Betreibermodelle auf die Anreize zur Umnutzung einer Erdgasleitung kommen kann. Es gilt daher auch die Anreize in einem Umnutzungsprozess eingehender zu analysieren.

Wie soll die Wasserstoffinfrastruktur in die bestehende Energieinfrastrukturlandschaft integriert werden?

Wie bereits oben erwähnt, kann Wasserstoff neben neuen Wasserstoffpipelines auch mithilfe der bestehenden Energienetze (Strom- und umgenutzte Erdgasnetze) sowie der Transportinfrastruktur befördert werden. Es liegt daher nahe, den Aufbau neuer Wasserstoffinfrastruktur mit den Infrastrukturinvestitionsplänen aus weiteren Sektoren abzustimmen. Derzeit werden mehrere Lösungsansätze diskutiert, die eine solche Systemoptimierung ermöglichen sollen und damit beim Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur zum Einsatz kommen können.

Die Lösungsansätze lassen sich in drei Gruppen einteilen. Vorschläge, die wir zum Governanceansatz zählen, fokussieren sich auf eine integrierte Infrastrukturplanung und führen zu diesem Zweck eine zusätzliche Planungsstufe, d.h. ein neues Planungsgremium oder eine Planungsinstitution, ein. Diese Planungsstufe soll sicherstellen, dass die Infrastrukturinvestitionen innerhalb der einzelnen Sektoren aufeinander abgestimmt sind. Die Systemoptimierung findet damit top-down statt. Der Governanceansatz wird auf der EU-Ebene innerhalb des Transportsektors bereits seit ca. 20 Jahren vorangetrieben. Im Energiesektor ist der Ansatz neu und z.B. in der gemeinsamen Szenarioplanung von entso-g und entso-e oder dem dena Systementwicklungsplan erkennbar.

Der Council of European Energy Regulators (CEER) bietet unter dem Namen „Whole-System-Approach“ einen Regulierungsansatz als Alternative an. Bei dieser Lösung wird in der Regulierung der Netzbetreiber ein neuer Anreiz eingeführt, der die sektorübergreifende Optimierung vorantreiben soll. Zudem erhalten regulierte Netzbetreiber neue Steuerungsinstrumente, wie z.B. variable Netzentgelte oder die Möglichkeit Kooperationen und Joint Ventures einzugehen, die eine Gesamtsystemoptimierung ermöglichen. Die Systemoptimierung findet damit im Gegensatz zum Governanceansatz bottom-up statt.

Bottom-up Optimierung findet auch beim dritten Lösungsvorschlag, dem marktbasierten Ansatz statt. Wie bereits oben ausgeführt, stellt der Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur eine wettbewerbliche Tätigkeit dar und orientiert sich damit an der Transportnachfrage der Energiemärkte. Die Fähigkeit der Energiemärkte den Infrastrukturaufbau auch sektorübergreifend zu koordinieren, wurde in akademischen Kreisen bereits mehrmals hervorgehoben. Diese Ansicht wird derzeit vor allem von den europäischen Energieregulieren in die Diskussion eingebracht.

Es ist derzeit noch unklar, welcher dieser Ansätze sich am Ende durchsetzen wird. Zuerst muss geklärt werden, ob es sich bei diesen Ansätzen überhaupt um eigenständige Lösungen handelt, oder eher eine Kombination der Ansätze am Ende am sinnvollsten erscheint.

  

Diskutieren Sie gerne mit uns Ihre Perspektive auf die obigen Fragen. Wir freuen uns auch über Ergänzungen zu den bereits gesammelten Fragen, da diese sicherlich nur einen Ausschnitt aus der aktuellen Debatte darstellen.

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